Die zwei Seiten von Routinen sind etwas, das als Phänomen so unglaublich weit und tief ist, dass man das Gefühl bekommen könnte, wir Menschen sollen das gar nicht wirklich begreifen. Wozu auch?
Da gibt es einmal die Seite, die wir unbewusst nutzen. Und zwar täglich und andauernd. Eine Routine folgt der anderen, unzählige Routinen wirken parallel, greifen ineinander und überlappen sich laufend. Während ich jetzt schreibe (eine Routine), greife ich zu einem Glas Wasser, das weit genug von meinem Computer entfernt steht, aber eben gerade nahe genug, dass ich es noch greifen kann. Dass das so ist, das mit dem Abstand und so, hatte ich mir nicht überlegt, sondern das mache ich wohl so, weil mir vor gar nicht so langer Zeit ein Kollege mal mein Glas Wasser über die Tastatur geleert hatte. Gerade eben habe ich wieder auf die Uhr geschaut, weil ich in knapp 20 Minuten ein wichtiges und gar nicht so einfaches Telefonat führen werde, über dessen Inhalt ich während meines Schreibens irgendwie auch unterschwellig nachdenke. Ich ändere meine Sitzstellung, weil ich meines Rückens wegen eigentlich dauernd auf meine Sitzstellung achte, unbewusst, was wahrscheinlich ohnehin nur wenig bringt – weshalb ich gerade auch noch eine Entscheidung darüber treffe, welche Laufstrecke ich morgen früh wählen werde, um meinem Rücken tatsächlich etwas Gutes zu tun. Und so weiter.
Wenn man seinen Alltag so in Einzelteile zerlegt, wird man einmal nicht fertig damit, und zum anderen erkennt man recht schnell, was Routinen zu leisten vermögen.
Und deshalb macht es Sinn, auch die andere Seite der Routinen zu betrachten. Nämlich jene Seite, die „mauert“. Routinen sind stabil. Sie verteidigen ihr Terrain. Kein Wunder, es hängt ja auch eine ganze Menge davon ab. Alles muss funktionieren, alles will erledigt werden, alles soll sicher sein – von unserem Weg an den Arbeitsplatz frühmorgens bis zur Tatsache, dass kein Wasser über den Computer läuft. Unser Bewusstsein brauchen wir für andere Dinge, und – ganz nebenbei erwähnt – wir haben viel weniger davon, als uns bewusst ist … oder als uns lieb ist. Wir glauben doch tatsächlich, dass wir uns und unseren Tagesablauf im Griff haben, weil wir so „bewusst“ sind. Geben Sie es zu: Sie haben alles im Griff!
Ich persönlich halte diese unsere Routine der Überschätzung unseres Bewusstseins für das fundamentalste Optimierungspotenzial, das jedes Unternehmen hat!
Schon lustig, wenn man die Komplexität der Routinen eines Menschen bedenkt, in welchem Licht dann der Komplex an Gewohnheiten erscheint, auf den man in einem Unternehmen unweigerlich treffen muss, mit hunderten und tausenden Menschen. Wie hunderttausende oder eher schon Millionen kleine Zahnrädchen greifen da Abläufe und eben Routinen ineinander, damit gewährleistet werden kann, dass eine Reise buchbar wird. Und zwar wieder und wieder Reisen buchbar werden. Und auch rechtzeitig zum Erscheinen des neuen Katalogs. Darf ich Sie einladen, sich das mal kurz vorzustellen – die vielen kleinen Zahnrädchen und Zusammenhänge? Also, das Unternehmen, an das ich jetzt gerade denke, beschäftigt tausende von Mitarbeitern – und während ich Sie auffordere, sich das vorzustellen, wird mir bewusst, dass tatsächlich die Handlung eines jeden Mitarbeiters irgendwie mit der des anderen zusammenhängt, Einfluss darauf nimmt und abhängig ist von der Handlung der anderen und so weiter. Was für ein Komplex an Handlungen. Was für ein Wunder, dass da nicht öfter Wasser über Tastaturen fließt! Diesem riesigen Komplex an segensreichen Routinen steht eine genauso große Mauer gegenüber, die diesen Komplex beschützt: Wir wollen uns nicht verändern, wir verteidigen die Abläufe. Zu Recht!
Jetzt kommt da ein Vorstand, eine Führungskraft und hat eine Idee. Und zwar, wie man es besser machen kann. Und ganz ehrlich: die Idee klingt gut. Sie leuchtet ein. Jeder versteht, was sie bewirken soll.
Aber keiner tut „es“.
Weil es bequemer ist und sicherer, es so zu tun, wie schon tausendfach bewiesen wurde, dass es klappt. Weil wir unbewusst sicherstellen, dass die Reise buchbar wird, und deshalb keine Lust auf Experimente haben. Weil die scheinbar nur kleine Veränderung in ihrer Auswirkung auf das Ganze nicht absehbar ist. Weil wir nicht wissen, wie es geht, was so einleuchtend und einfach klingt. Weil wir nicht zugeben wollen, dass wir es nicht können.
Die Situation: Ich komme zu einem Restaurant, das ich nicht kenne, in dem ich drei wichtige potenzielle Kunden treffen soll. Ich bin zu spät, alle anderen sind schon da. Was ich nicht wusste: „Bird“ … es ist ein asiatisches Lokal. Sofort nehme ich wahr: Alle essen mit Stäbchen. Ich kann das nicht. Während der Begrüßung reift mein Entschluss und schon höre ich mich sagen: „… ich habe keinen großen Hunger, ich nehme nur eine Suppe …“! Der Rest des Abends verläuft gewohnt routiniert.
Im Prinzip, das möchte ich schon noch erwähnen, bin ich ein aufgeschlossener Mensch. Offen für Neues.